Der römische Friede mit Cardenal | Managua:
Ob Kirche oder Partei, der
nicaraguanische Theologe und Autor Ernesto Cardenal ging keiner
Auseinandersetzung aus dem Weg. Mit seinen revolutionären Weggefährten
von einst wollte er schon länger nichts mehr zu tun haben. Mit dem
Vatikan hingegen machte er seinen Frieden.
Dichter und Theologe Ernesto Cardenal gestorben
Managua
Ob Kirche oder Partei, der
nicaraguanische Theologe und Autor Ernesto Cardenal ging keiner
Auseinandersetzung aus dem Weg. Mit seinen revolutionären Weggefährten
von einst wollte er schon länger nichts mehr zu tun haben. Mit dem
Vatikan hingegen machte er seinen Frieden.
Er war das intellektuelle
Aushängeschild der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Als
idealistischer Dichter träumte er vom Himmelreich in sozialistischen
Kommunen, als Kulturminister seiner mittelamerikanischen Heimat trieb er
die Alphabetisierung der armen Landbevölkerung voran. Zuletzt war er
ein erbitterter Gegner seiner einstigen Genossen. Jetzt ist Ernesto
Cardenal im Alter von 95 Jahren gestorben.
"Stärker
als der Glaube treibt mich die Hoffnung an und noch stärker als die
Hoffnung die Liebe", sagte der Theologe und Schriftsteller einmal im
Interview der Deutschen Presse-Agentur. Cardenal sei ein wortgewaltiger
Mahner, der sein dichterisches Werk gegen die Hoffnungslosigkeit stelle
und die Liebe als einziges Element der Veränderung kenne, begründete die
Jury des Friedenspreises des deutschen Buchhandels einst die
Auszeichnung des Nicaraguaners (1980).
"Mit
dem Tod von Ernesto Cardenal verlieren wir einen bedeutenden
Fürsprecher und Anwalt der Armen. Mit ihm ist eine einflussreiche Stimme
für Frieden und Gerechtigkeit in Lateinamerika verstummt", sagte der
Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Adveniat, Pater Michael
Heinz.
Cardenal stammte aus einer
wohlhabenden Familie aus Granada. Er studierte Philosophie und
Literatur in Mexiko-Stadt sowie New York, später Theologie in Mexiko und
Kolumbien. Zwei Jahre verbrachte er in einem Trappistenkloster in den
USA, bevor er 1965 zum Priester geweiht wurde.
Auf
der Insel Mancarrón im Solentiname-Archipel im Nicaraguasee gründete
Cardenal eine Bauernkommune nach urchristlichem Vorbild. Er verstand die
Gemeinschaft als Versuch, das Reich Gottes im irdischen Kommunismus zu
verwirklichen. Dort entstand auch sein bekanntestes Werk, "Das
Evangelium der Bauern von Solentiname". Auf der Insel soll er nun auch
seine letzte Ruhe finden.
Als
scharfer Kritiker der Diktatur von Anastasio Somoza musste Cardenal ins
Exil nach Costa Rica fliehen und schloss sich dort der
Guerillaorganisation FSLN an. Nach dem Sieg der Sandinisten 1979 kehrte
er in seine Heimat zurück und startete als Kulturminister der neuen
Regierung eine große Bildungskampagne unter den verarmten Bauern.
Beim
Papstbesuch 1983 in Managua kam es zum Eklat zwischen dem linken
Befreiungstheologen und dem Vatikan. Weil sandinistische Parteihänger
Johannes Paul II. ausbuhten, maßregelte das Kirchenoberhaupt Cardenal in
aller Öffentlichkeit. Zwei Jahre später wurde er wegen seiner
politischen Tätigkeit vom Priesteramt suspendiert.
Nach
dem Ende der ersten sandinistischen Regierungszeit brach Cardenal auch
mit seinen einstigen revolutionären Weggefährten. Der autoritäre
Führungsstil von Sandinistenchef Daniel Ortega und die unverhohlene
Raffgier der linken Nomenklatur ließen ihn an seiner Partei verzweifeln.
Gemeinsam
mit seinem Freund, dem österreichischen Schauspieler Dietmar Schönherr,
gründete er die Kulturstiftung "Casa de los tres mundos" in Granada. Er
widmete sich nun wieder mehr dem Schreiben und veröffentlichte den
Gedichtzyklus "Gesänge des Universums". Seine Lesereisen führten ihn
auch immer wieder nach Deutschland, häufig gemeinsam mit der Band Grupo
Sal. Seine Markenzeichen: Schwarze Baskenmütze, weißes Bauernhemd,
Ledersandalen.
Gerade für die
europäische Linke war Cardenal eine Ikone der sandinistischen
Revolution, doch mit seinen früheren Genossen wollte er nichts mehr zu
tun haben. "Es ist nichts geblieben von der Revolution", klagte
Cardenal. Seit Ortega 2007 an die Macht zurückgekehrt sei, habe er sich
das Land zur Beute gemacht, sagte Cardenal. "Es ist eine Diktatur von
Daniel Ortega, seiner Frau und seinen Kindern, die sich schamlos
bereichern."
Ortega, der im
Januar 2017 seine vierte Amtszeit antrat und seine ganze Familie mit
wichtigen Posten versorgte, war zuletzt der Lieblingsfeind des
streitbaren Schriftstellers. Trotz seines schlechten
Gesundheitszustandes bezog er während der monatelangen Proteste gegen
die Regierung mit mittlerweile Hunderten Toten klar Position.
"Die
Unterdrückung, die wir erleben, bereitet mir großes Leid. Es gibt
Massaker und Verhaftungen, Entführungen und Folter", sagte er zuletzt.
"Wir wollen eine andere Regierung, eine demokratische Republik." Trotz
seiner scharfen Kritik an Ortega ordnete die Regierung eine dreitägige
Staatstrauer an.
Gegenüber der
katholischen Kirche hingegen zeigte sich Cardenal zuletzt milde. Vor
allem das bescheidene Auftreten von Papst Franziskus gefiel ihm. "Das
ist eine große Veränderung im Vatikan, die niemand vorhersehen konnte",
sagte Cardenal. Franziskus versuche, die Welt zu einem besseren Ort für
die Armen und Vergessenen zu machen. Zuletzt rehabilitierte das
katholische Kirchenoberhaupt den einst verfemten linken Priester. Anfang
Februar 2019 hob Franziskus die Sanktionen gegen ihn auf.
"Es
ist sehr traurig, seine Klarheit und Poesie zu verlieren, die er bis
zum Ende gelebt hat", schrieb die nicaraguanische Schriftstellerin
Gioconda Belli auf Twitter. "Aber anstatt zu weinen, sollten wir sein
konsequentes und kreatives Leben feiern." Der Autor und frühere
Vizepräsident Sergio Ramírez schrieb: "Ich habe meinen großen Bruder,
engen Freund und langjährigen Nachbarn verloren. Er war ein moralischer
Anführer und ein literarisches Vorbild."
Schriftsteller,
Priester, Politiker - für Cardenal war das nie ein Widerspruch. "Ich
versuche, nach der Botschaft des Evangeliums zu leben", sagte er einmal.
"Es ist eine politische Botschaft: Die Welt verändern und verbessern
nach 100 000 Jahren der Ungleichheit." / https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article228589327/Dichter-und-Theologe-Ernesto-Cardenal-gestorben.html
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