"Nicht mitzuhassen, mitzulieben sind wir da“, sagt er von der Domkanzel. Nach einer Demonstration für die kampflose Übergabe der Stadt werden Johann Maier und zwei Mitstreiter am 24. April 1945 von den Nazis exekutiert https://www.br.de/nachrichten/bayern/regensburg-der-einsame-tod-des-dompredigers,RmbFJpR
Michael Lottner |
12Der Krieg war fast schon zu Ende für
Regensburg, da wurde auch Michael Lottner noch Opfer des Nationalsozialismus –
deswegen, weil er Zivilcourage bewiesen hatte.Michael Lottner kam 1899 als
eines von neun Kindern des Lottner-hofes nahe Neunburg v. W. zur Welt. Schon
früh als Kind musste er das Vieh hüten und in der Landwirtschaft zu Hause
mithelfen, und noch als Minderjähriger wurde er 1916 als Soldat eingezogen,
kämpfte an der Front in Frankreich, erhielt einen Orden. Nach dem Krieg ging er
zur Polizei, musste diesen Beruf aber nach schweren Kopfverletzungen im Dienst
1935 wieder aufgeben. Fortan arbei-tete er für eine Versicherung in Regensburg.
Er galt allgemein als ruhiger und besonnener Mann mit einem ausgeprägten Gerech-tigkeitssinn.Im
Frühjahr 1945 konnte der Krieg für Regensburg zu Ende sein, doch es bestand die
Gefahr, dass die Stadt zerstört würde, wenn die aussichtslose Verteidigung
fortgesetzt würde. Frauen organi-sierten am 23. April eine spontane
Demonstration auf dem heuti-gen Dachauplatz, um das Ende der Kämpfe zu fordern.
Unter den Anwesenden war auch Michael Lottner. Es kam zu einem Tumult, als
Mitglieder der Polizei die Versammlung auflösen wollten. Mi-chael Lottner
forderte Ruhe, damit der Domprediger Johann Meier sprechen könnte. Dieser Ruf
allein war der Grund dafür, dass er festgenommen, mit anderen Teilnehmern in
die Parteizentrale ge-schleppt, dort gefoltert und dann erschossen wurde. Sein
Handeln galt als Widerstand.Für ihn, der in dieser Situation Zivilcourage
gezeigt hatte, wurde 2012 vor seiner Wohnung in der Glockengasse 8 ein
Stolperstein verlegt. Dieser Stein soll an ihn, dessen Name nur noch einzelnen
Menschen bekannt war, erinnern und aufzeigen, dass er hier in Regensburg gelebt
hatte, ein Bürger der Stadt gewesen war.Die Idee, Stolpersteine als
Erinnerungszeichen zu setzen, stammt von Gunter Demnig, Künstler in Köln. Mitte
der 90er Jahre war es, dass es zwar Gedenkveranstaltungen und Mahnmale für die
unzähligen Mordaktionen des Nationalsozialismus gab, dass aber die einzelnen
Menschen, ihre Namen und damit ihre persönlichen Schicksale darin nicht
vorkamen. Damit aber blieben zahllose Menschen, ihre Namen vergessen, sie
existierten dann in keiner Erinnerung mehr. Und weil die Nationalsozialisten ganze
Familien, ganze Familienverbände ermordet, ihren Besitz an sich gerissen oder
billig versteigert hatten, blieben meistens keine Briefe, Fotos, Tagebücher,
persönlichen Gegenstände mehr. Es schien, als ob es diese Menschen gar nicht
gegeben hätte. Dieses Schicksal traf vor allem Familien jüdischen Glaubens, von
denen alle in Deutschland und alle in den besetzten Gebieten getötet werden
sollten. Das ist zum Glück nicht gelungen, aber in fast jedem Ort gibt es
zahlreiche Namen, über deren Träger man nur noch in früheren Adressbü-chern
oder in den Archiven etwas, manchmal auch fast gar nichts erfahren kann.Es
dauerte eine ganze Weile, bis der Künstler Gunter Demnig in Köln die Erlaubnis
erhielt, die ersten Stolpersteine zu verlegen – jeweils vor den Häusern, in
denen diese Menschen zuvor gelebt hatten. Stolpersteine, das sind 10 x 10 x 10
cm große Würfel aus Beton, die mit einer Messingoberfläche überzogen sind. In
diese Messingplatte sind die Namen, das Geburtsjahr und einige weni-ge Daten
über die Leidenswege der Betroffenen per Hand einge-stanzt. Natürlich ist nicht
gemeint, dass man wirklich über sie stolpert und dann gar stürzt, sie sind ja
ganz plan in den Boden eingelassen. Gemeint ist eine Art geistiges Stolpern:
plötzlich sieht man etwas Unerwartetes. Der Name und die Hinweise auf das
Schicksal sol-len das eigene Bewusstsein, das Wissen, die Erinnerung
anspre-chen: hier hat jemand gelebt, die oder der nur deswegen ermordet wurde,
weil sie oder er zu einer Menschengruppe gehört hatte, die der Nationalsozialismus
aus irgendwelchen erfundenen Behaup-tungen zur Gänze ermorden wollte. Man holt
diese Menschen, ihre Namen sozusagen wieder in die Erinnerung, in ihre Stadt
zurück.Anfangs waren es Steine für die jüdischen Opfer, die vor ihren früheren
Wohnungen verlegt wurden, doch bald schon folgten die Opfer der anderen
verfolgten Gruppen: Sinti und Roma (damals Zigeuner genannt), Zeugen Jehovas,
Kranke, Menschen mit Be-hinderungen („Aktion T4“), Homosexuelle sowie politisch
Verfolgte.Bald entstanden Initiativen außerhalb von Köln, und es folgten
Verlegungen von Stolpersteinen in inzwischen zahllosen Orten in Deutschland,
dann in anderen Staaten. Heute liegen über 75 000 Steine in Deutschland und 25
Staaten in Europa. Knapp 250 sind es inzwischen auch in Regensburg, weitere
werden folgen (Sep-tember 2020).Andere Städte haben andere Modelle entwickelt,
so stellt die Stadt München Stelen auf oder montiert Plaketten an Hauswände,
die ähnliche Informationen wie die Stolpersteine weitergeben.Die Arbeitsgruppe
Stolpersteine Regensburg gibt es seit 2005 und ist im Evangelischen
Bildungswerk zu Hause.Die Nachforschungen nach den Schicksalen der Opfer des
Natio-nalsozialismus können oft sehr mühsam sein, manchmal Monate dauern,
gelegentlich fast gar keine Ergebnisse bringen. Dann ist fast alles von ihnen
zerstört worden. Sehr viel mehr aber weiß man z.B. von Anna Prugg, für die im
April letzten Jahres vor der Prüfeningerstraße 19 ein Stein verlegt wurde.Anna
Prugg kam im August 1877 in Regensburg zur Welt. Die Fa-milie gehörte zwar zum
jüdischen Glauben, praktizierte ihn aber nicht. Die Eltern Aurelie und Carl
Nußbaum betrieben ein Beklei-dungsgeschäft für Herrenmoden und Uniformen am
Neupfarrplatz, Im Kramwinkel 1; das angesehene Haus führte den Titel Königlich
Bayerische Hoflieferanten.Nach dem Abitur an der Städtischen Töchterschule
(heute Von Müller Gymnasium) schloss sie eine Ausbildung zur Lehrerin ab,
lernte aber im elterlichen Geschäft einen österreichischen Offi-zier kennen:
Franz Prugg, Leutnant bei den Tiroler Kaiserjägern. Beide verliebten sich, 1911
heirateten sie, nachdem Anna zuvor zum katholischen Glauben konvertiert war. Da
ihr Mann in Bruck an der Mur stationiert war, zogen beide dorthin in die
Steiermark in Österreich, dessen Staatsbürgerschaft Anna nun besaß. Als ein
Jahr später die Tochter Eva zur Welt kam, schien ein glückliches Familienleben
seinen Lauf zu nehmen.Doch schon im ersten Kriegsjahr, im April 1915, wurde
Franz Prugg, inzwischen Oberleutnant, tödlich verwundet. Als im selben Jahr
auch ihr Bruder fiel, zog Anna zu ihren Eltern nach Regens-burg zurück. Eine
knappe Offizierswitwenrente reichte zum Leben nicht aus, und da anderes nicht
zu finden war, machte sie eine Ausbildung zur Büroangestellten, fand später
eine Position als eine Art Chef-sekretärin im angesehenen Bekleidungsgeschäft
Manes (später Carlson, Ecke Goliathstraße und Brückstraße). Ihre
wirtschaftliche Situation entwickelte sich wieder positiv. Nicht aber die des
elter-lichen Geschäfts, das durch die Inflation nach dem Krieg schwer gelitten
hatte. Immer mehr musste sie aushelfen, bis sie 1926 ganz dorthin wechselte.
Aber es blieb ihr nur, es schließlich 1929 auf-Stolpersteine in Regensburg
13Der Stolperstein für Anna Prugg in
der Prüfeninger Straße. Die Rosenstammen von einer Schulklasse des Von Müller
Gymna-siums, dessen Schülerin Anna Prugg einst gewesen war. Jede Schülerin,
jeder Schüler legte eine Rose ab, so dass man schließlich den Stein fast nicht
mehr sehen konnte.Weitere Informationen unter: www.stolpersteine-regensburg.de;
zu erreichen unter: stolpersteine@ebw-regensburg.deUlrich Fritsch, Sylvia
Seifertzulösen. Die beginnende Weltwirtschaftskrise zerstört das, was noch an
Rücklagen da war, nur die knappe Witwenrente blieb. Wieder musste Anna Prugg
neu beginnen, sie war jetzt 42 Jahre alt, schwer, in der Zeit der
Massenarbeitslosigkeit Arbeit zu finden. Sie fand eine Stelle als Aushilfskraft
bei der Regierung von Nieder-bayern und Oberpfalz. Im Maschinenschreiben und in
Kurzschrift konnte sie aber kaum mit dem Tempo der jungen Kolleginnen
mit-halten, erlebte deswegen Gehaltskürzungen und wurde schließ-lich in die
Telefonzentrale versetzt. In dieser Zeit des Überlebens-kampfes begann sie zu
zeichnen, wurde Mitglied im Regensburger Frauenruderclub – sie ließ sich nicht
unterkriegen. Doch andere versuchten es: drei Monate nach dem Machtgewinn der
National-sozialisten wurde sie auf deren Druck hin entlassen, im Juni 1933. Sie
wehrte sich, widersprach, fand heraus, dass das angewandte Gesetz („Zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“) nicht für Kriegswitwen galt. Man stellte sie wieder
ein. Aber die Hetze gegen sie setzte sich fort, schließlich auch in der
Zeitung. Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze wurde sie 1936 endgültig
ent-lassen. Zugleich steigerten sich überall im Land die Drangsalie-rungen
gegen die Juden, so dass Anna Prugg, arbeits- und fast mittellos, Anfang 1937
in die Nähe von Innsbruck zog, nicht weit weg von Verwandten ihres Mannes. Sie
hoffte, in Österreich sicher zu sein vor den Verfolgungen, eine Arbeit zu
finden. Ihre Mutter zog mit, Tochter Eva aber ging nach einer Ausbildung in der
Re-gensburger Gärtnerei Trede nach Potsdam, in die Gärtnerei des
Staudenzüchters Karl Foerster.Aber die erhoffte Sicherheit fand Anna Prugg nicht
in Österreich: nach dem Anschluss 1938 begannen die Deutschen umgehend mit
Verhaftungswellen, Demütigungen und Drangsalieren der jüdi-schen Bevölkerung.
Noch war sie als Kriegerwitwe und Katholikin geschützt, entging aber mehrfach
nur knapp den Verhaftungen, musste wiederholt umziehen, ihre Stellen wechseln.
Trotz ihres Status als Offizierswitwe wurde die Lage für sie immer
bedrohli-cher. Im September 1942 nahm man sie fest und wollte sie nach Polen
deportieren – dorthin, wo inzwischen die Vernichtungslager in Betrieb waren. Es
gelang ihrer Tochter, genauso kämpferisch wie ihre Mutter, aus Potsdam
angereist, in letzter Minute sie aus dem Transport wieder freizubekommen. Anna
Prugg aber musste in einem Ghetto in Wien bleiben; nur wenige Menschen
jüdischer Abstammung gab es noch. Es existieren einige Briefe, die sie an
Tochter Eva und eine Freundin in Innsbruck schrieb, die die harte Arbeit und
die großen Entbehrungen erkennen lassen, in denen aber ihre lebensbejahende
Haltung dominiert. Sie lässt sich auch weiterhin nicht unterkriegen, heimlich
verstieß sie gegen Verbo-te, weil sie auch etwas vom Leben haben wollte: sie
besuchte ein Kino, aß mehrfach mit deutschen Lebensmittelkarten in Lokalen –
und wurde schließlich denunziert. Jetzt konnte niemand mehr helfen, sie wurde
im Februar 1944 verhaftet, Ende Mai dann nach Auschwitz deportiert. Auf einer
Liste von Menschen im Lager, die Widerstand überlegten, fand sich das Datum
ihres Todes: der 6. Oktober 1944. Anna Prugg war eine von Millionen Ermordeten.
Sie hatte in ihrem Leben viele Niederschläge erlebt, war vom
Nationalsozialismus heftig drangsaliert worden, hatte immer wieder einen
Neuanfang gefunden, nie aufgegeben, Positives gesucht und gefunden. Ir-gendwann
behauptete man, einen Grund gefunden zu haben, sie zu vernichten. Da war sie 57
Jahre alt.Wir wissen von Anna Prugg sehr viel mehr als von den meisten anderen
Opfern: ihre Tochter Eva hatte in Potsdam einen Bauinge-nieur kennengelernt,
heiraten durften sie erst nach der Befreiung, beide wurden Eltern von vier
Kindern. Gemeinsam mit einer Freun-din der Familien begann man irgendwann, alle
Zeugnisse zusam-menzutragen, auch Informationen aus Regensburg zu holen. Auf
ihren Grundlagen entstand dieser Bericht. Alle vier Geschwister, die Enkel von
Anna Prugg, waren anwesend, als am 3. April letzten Jahres der Stein für ihre
Großmutter verlegt wurde, es wurde ein Erlebnis intensiver Gefühle.
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