Samstag, 16. Mai 2020

Michal Lottner | Josef Zirkel | Der einsame Tod des Dompredigers Johann Maier | Das Leben der Jüdin Anna Prugg mit Tochter Eva




 "Nicht mitzuhassen, mitzulieben sind wir da“, sagt er von der Domkanzel. Nach einer Demonstration für die kampflose Übergabe der Stadt werden Johann Maier und zwei Mitstreiter am 24. April 1945 von den Nazis exekutiert https://www.br.de/nachrichten/bayern/regensburg-der-einsame-tod-des-dompredigers,RmbFJpR

Michael Lottner
 Die Industrie- und Handelskammer gedenkt einem Helden der Stadt Regensburg. Am 23. April 1945 ermordeten Nazis den pensionierten Polizisten Michael Lottner (+46). Sein einziges Verbrechen: Der Satz „Hört ihm halt zu, was er zu sagen hat“. REGENSBURG Als sich Frauen und Kinder am 23. April 1945 versammelten, um für eine friedliche Übergabe der Stadt an die heranrückende US-Armee zu plädieren, sollte Domprediger Johann Maier sprechen. Doch das wollten die Nazis verhindern. Lottner plädierte dafür, dem Domprediger zuzuhören. Zusammen mit Josef Zirkl, einem Lagerarbeiter, wurde auch Maier hingerichtet. Lottner aber wurde in die damalige NSDAP-Kreisleitung verschleppt, die in der „arisierten“ (also enteigneten) Schwarzhaupt-Villa untergebracht war. Die Villa existiert heute nicht mehr. Als die Villa für den Neubau des Gebäudes der Industrie- und Handelskammer D.-Martin-Luther-Straße 12 teilweise abgerissen und in die neue IHK integriert wurde, verschwand auch die Gedenktafel. Heute erinnern nur die Stele am Dachauplatz an Lottner sowie der auf Privatinitiative verlegte Stolperstein vor seinem Wohnhaus in der Regensburger Glockengasse 8.https://www.wochenblatt.de/kirche/regensburg/artikel/283761/hoert-ihm-halt-zu-eine-gedenktafel-erinnert-an-nazi-opfer-michael-lottner#gallery&0&0&283761



12Der Krieg war fast schon zu Ende für Regensburg, da wurde auch Michael Lottner noch Opfer des Nationalsozialismus – deswegen, weil er Zivilcourage bewiesen hatte.Michael Lottner kam 1899 als eines von neun Kindern des Lottner-hofes nahe Neunburg v. W. zur Welt. Schon früh als Kind musste er das Vieh hüten und in der Landwirtschaft zu Hause mithelfen, und noch als Minderjähriger wurde er 1916 als Soldat eingezogen, kämpfte an der Front in Frankreich, erhielt einen Orden. Nach dem Krieg ging er zur Polizei, musste diesen Beruf aber nach schweren Kopfverletzungen im Dienst 1935 wieder aufgeben. Fortan arbei-tete er für eine Versicherung in Regensburg. Er galt allgemein als ruhiger und besonnener Mann mit einem ausgeprägten Gerech-tigkeitssinn.Im Frühjahr 1945 konnte der Krieg für Regensburg zu Ende sein, doch es bestand die Gefahr, dass die Stadt zerstört würde, wenn die aussichtslose Verteidigung fortgesetzt würde. Frauen organi-sierten am 23. April eine spontane Demonstration auf dem heuti-gen Dachauplatz, um das Ende der Kämpfe zu fordern. Unter den Anwesenden war auch Michael Lottner. Es kam zu einem Tumult, als Mitglieder der Polizei die Versammlung auflösen wollten. Mi-chael Lottner forderte Ruhe, damit der Domprediger Johann Meier sprechen könnte. Dieser Ruf allein war der Grund dafür, dass er festgenommen, mit anderen Teilnehmern in die Parteizentrale ge-schleppt, dort gefoltert und dann erschossen wurde. Sein Handeln galt als Widerstand.Für ihn, der in dieser Situation Zivilcourage gezeigt hatte, wurde 2012 vor seiner Wohnung in der Glockengasse 8 ein Stolperstein verlegt. Dieser Stein soll an ihn, dessen Name nur noch einzelnen Menschen bekannt war, erinnern und aufzeigen, dass er hier in Regensburg gelebt hatte, ein Bürger der Stadt gewesen war.Die Idee, Stolpersteine als Erinnerungszeichen zu setzen, stammt von Gunter Demnig, Künstler in Köln. Mitte der 90er Jahre war es, dass es zwar Gedenkveranstaltungen und Mahnmale für die unzähligen Mordaktionen des Nationalsozialismus gab, dass aber die einzelnen Menschen, ihre Namen und damit ihre persönlichen Schicksale darin nicht vorkamen. Damit aber blieben zahllose Menschen, ihre Namen vergessen, sie existierten dann in keiner Erinnerung mehr. Und weil die Nationalsozialisten ganze Familien, ganze Familienverbände ermordet, ihren Besitz an sich gerissen oder billig versteigert hatten, blieben meistens keine Briefe, Fotos, Tagebücher, persönlichen Gegenstände mehr. Es schien, als ob es diese Menschen gar nicht gegeben hätte. Dieses Schicksal traf vor allem Familien jüdischen Glaubens, von denen alle in Deutschland und alle in den besetzten Gebieten getötet werden sollten. Das ist zum Glück nicht gelungen, aber in fast jedem Ort gibt es zahlreiche Namen, über deren Träger man nur noch in früheren Adressbü-chern oder in den Archiven etwas, manchmal auch fast gar nichts erfahren kann.Es dauerte eine ganze Weile, bis der Künstler Gunter Demnig in Köln die Erlaubnis erhielt, die ersten Stolpersteine zu verlegen – jeweils vor den Häusern, in denen diese Menschen zuvor gelebt hatten. Stolpersteine, das sind 10 x 10 x 10 cm große Würfel aus Beton, die mit einer Messingoberfläche überzogen sind. In diese Messingplatte sind die Namen, das Geburtsjahr und einige weni-ge Daten über die Leidenswege der Betroffenen per Hand einge-stanzt. Natürlich ist nicht gemeint, dass man wirklich über sie stolpert und dann gar stürzt, sie sind ja ganz plan in den Boden eingelassen. Gemeint ist eine Art geistiges Stolpern: plötzlich sieht man etwas Unerwartetes. Der Name und die Hinweise auf das Schicksal sol-len das eigene Bewusstsein, das Wissen, die Erinnerung anspre-chen: hier hat jemand gelebt, die oder der nur deswegen ermordet wurde, weil sie oder er zu einer Menschengruppe gehört hatte, die der Nationalsozialismus aus irgendwelchen erfundenen Behaup-tungen zur Gänze ermorden wollte. Man holt diese Menschen, ihre Namen sozusagen wieder in die Erinnerung, in ihre Stadt zurück.Anfangs waren es Steine für die jüdischen Opfer, die vor ihren früheren Wohnungen verlegt wurden, doch bald schon folgten die Opfer der anderen verfolgten Gruppen: Sinti und Roma (damals Zigeuner genannt), Zeugen Jehovas, Kranke, Menschen mit Be-hinderungen („Aktion T4“), Homosexuelle sowie politisch Verfolgte.Bald entstanden Initiativen außerhalb von Köln, und es folgten Verlegungen von Stolpersteinen in inzwischen zahllosen Orten in Deutschland, dann in anderen Staaten. Heute liegen über 75 000 Steine in Deutschland und 25 Staaten in Europa. Knapp 250 sind es inzwischen auch in Regensburg, weitere werden folgen (Sep-tember 2020).Andere Städte haben andere Modelle entwickelt, so stellt die Stadt München Stelen auf oder montiert Plaketten an Hauswände, die ähnliche Informationen wie die Stolpersteine weitergeben.Die Arbeitsgruppe Stolpersteine Regensburg gibt es seit 2005 und ist im Evangelischen Bildungswerk zu Hause.Die Nachforschungen nach den Schicksalen der Opfer des Natio-nalsozialismus können oft sehr mühsam sein, manchmal Monate dauern, gelegentlich fast gar keine Ergebnisse bringen. Dann ist fast alles von ihnen zerstört worden. Sehr viel mehr aber weiß man z.B. von Anna Prugg, für die im April letzten Jahres vor der Prüfeningerstraße 19 ein Stein verlegt wurde.Anna Prugg kam im August 1877 in Regensburg zur Welt. Die Fa-milie gehörte zwar zum jüdischen Glauben, praktizierte ihn aber nicht. Die Eltern Aurelie und Carl Nußbaum betrieben ein Beklei-dungsgeschäft für Herrenmoden und Uniformen am Neupfarrplatz, Im Kramwinkel 1; das angesehene Haus führte den Titel Königlich Bayerische Hoflieferanten.Nach dem Abitur an der Städtischen Töchterschule (heute Von Müller Gymnasium) schloss sie eine Ausbildung zur Lehrerin ab, lernte aber im elterlichen Geschäft einen österreichischen Offi-zier kennen: Franz Prugg, Leutnant bei den Tiroler Kaiserjägern. Beide verliebten sich, 1911 heirateten sie, nachdem Anna zuvor zum katholischen Glauben konvertiert war. Da ihr Mann in Bruck an der Mur stationiert war, zogen beide dorthin in die Steiermark in Österreich, dessen Staatsbürgerschaft Anna nun besaß. Als ein Jahr später die Tochter Eva zur Welt kam, schien ein glückliches Familienleben seinen Lauf zu nehmen.Doch schon im ersten Kriegsjahr, im April 1915, wurde Franz Prugg, inzwischen Oberleutnant, tödlich verwundet. Als im selben Jahr auch ihr Bruder fiel, zog Anna zu ihren Eltern nach Regens-burg zurück. Eine knappe Offizierswitwenrente reichte zum Leben nicht aus, und da anderes nicht zu finden war, machte sie eine Ausbildung zur Büroangestellten, fand später eine Position als eine Art Chef-sekretärin im angesehenen Bekleidungsgeschäft Manes (später Carlson, Ecke Goliathstraße und Brückstraße). Ihre wirtschaftliche Situation entwickelte sich wieder positiv. Nicht aber die des elter-lichen Geschäfts, das durch die Inflation nach dem Krieg schwer gelitten hatte. Immer mehr musste sie aushelfen, bis sie 1926 ganz dorthin wechselte. Aber es blieb ihr nur, es schließlich 1929 auf-Stolpersteine in Regensburg
13Der Stolperstein für Anna Prugg in der Prüfeninger Straße. Die Rosenstammen von einer Schulklasse des Von Müller Gymna-siums, dessen Schülerin Anna Prugg einst gewesen war. Jede Schülerin, jeder Schüler legte eine Rose ab, so dass man schließlich den Stein fast nicht mehr sehen konnte.Weitere Informationen unter: www.stolpersteine-regensburg.de; zu erreichen unter: stolpersteine@ebw-regensburg.deUlrich Fritsch, Sylvia Seifertzulösen. Die beginnende Weltwirtschaftskrise zerstört das, was noch an Rücklagen da war, nur die knappe Witwenrente blieb. Wieder musste Anna Prugg neu beginnen, sie war jetzt 42 Jahre alt, schwer, in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit Arbeit zu finden. Sie fand eine Stelle als Aushilfskraft bei der Regierung von Nieder-bayern und Oberpfalz. Im Maschinenschreiben und in Kurzschrift konnte sie aber kaum mit dem Tempo der jungen Kolleginnen mit-halten, erlebte deswegen Gehaltskürzungen und wurde schließ-lich in die Telefonzentrale versetzt. In dieser Zeit des Überlebens-kampfes begann sie zu zeichnen, wurde Mitglied im Regensburger Frauenruderclub – sie ließ sich nicht unterkriegen. Doch andere versuchten es: drei Monate nach dem Machtgewinn der National-sozialisten wurde sie auf deren Druck hin entlassen, im Juni 1933. Sie wehrte sich, widersprach, fand heraus, dass das angewandte Gesetz („Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“) nicht für Kriegswitwen galt. Man stellte sie wieder ein. Aber die Hetze gegen sie setzte sich fort, schließlich auch in der Zeitung. Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze wurde sie 1936 endgültig ent-lassen. Zugleich steigerten sich überall im Land die Drangsalie-rungen gegen die Juden, so dass Anna Prugg, arbeits- und fast mittellos, Anfang 1937 in die Nähe von Innsbruck zog, nicht weit weg von Verwandten ihres Mannes. Sie hoffte, in Österreich sicher zu sein vor den Verfolgungen, eine Arbeit zu finden. Ihre Mutter zog mit, Tochter Eva aber ging nach einer Ausbildung in der Re-gensburger Gärtnerei Trede nach Potsdam, in die Gärtnerei des Staudenzüchters Karl Foerster.Aber die erhoffte Sicherheit fand Anna Prugg nicht in Österreich: nach dem Anschluss 1938 begannen die Deutschen umgehend mit Verhaftungswellen, Demütigungen und Drangsalieren der jüdi-schen Bevölkerung. Noch war sie als Kriegerwitwe und Katholikin geschützt, entging aber mehrfach nur knapp den Verhaftungen, musste wiederholt umziehen, ihre Stellen wechseln. Trotz ihres Status als Offizierswitwe wurde die Lage für sie immer bedrohli-cher. Im September 1942 nahm man sie fest und wollte sie nach Polen deportieren – dorthin, wo inzwischen die Vernichtungslager in Betrieb waren. Es gelang ihrer Tochter, genauso kämpferisch wie ihre Mutter, aus Potsdam angereist, in letzter Minute sie aus dem Transport wieder freizubekommen. Anna Prugg aber musste in einem Ghetto in Wien bleiben; nur wenige Menschen jüdischer Abstammung gab es noch. Es existieren einige Briefe, die sie an Tochter Eva und eine Freundin in Innsbruck schrieb, die die harte Arbeit und die großen Entbehrungen erkennen lassen, in denen aber ihre lebensbejahende Haltung dominiert. Sie lässt sich auch weiterhin nicht unterkriegen, heimlich verstieß sie gegen Verbo-te, weil sie auch etwas vom Leben haben wollte: sie besuchte ein Kino, aß mehrfach mit deutschen Lebensmittelkarten in Lokalen – und wurde schließlich denunziert. Jetzt konnte niemand mehr helfen, sie wurde im Februar 1944 verhaftet, Ende Mai dann nach Auschwitz deportiert. Auf einer Liste von Menschen im Lager, die Widerstand überlegten, fand sich das Datum ihres Todes: der 6. Oktober 1944. Anna Prugg war eine von Millionen Ermordeten. Sie hatte in ihrem Leben viele Niederschläge erlebt, war vom Nationalsozialismus heftig drangsaliert worden, hatte immer wieder einen Neuanfang gefunden, nie aufgegeben, Positives gesucht und gefunden. Ir-gendwann behauptete man, einen Grund gefunden zu haben, sie zu vernichten. Da war sie 57 Jahre alt.Wir wissen von Anna Prugg sehr viel mehr als von den meisten anderen Opfern: ihre Tochter Eva hatte in Potsdam einen Bauinge-nieur kennengelernt, heiraten durften sie erst nach der Befreiung, beide wurden Eltern von vier Kindern. Gemeinsam mit einer Freun-din der Familien begann man irgendwann, alle Zeugnisse zusam-menzutragen, auch Informationen aus Regensburg zu holen. Auf ihren Grundlagen entstand dieser Bericht. Alle vier Geschwister, die Enkel von Anna Prugg, waren anwesend, als am 3. April letzten Jahres der Stein für ihre Großmutter verlegt wurde, es wurde ein Erlebnis intensiver Gefühle.

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